IMPRESSUM |
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Gottesbilder
in der Kulturgeschichte
Hartmut Schönherr |
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Der Begriff "Gottesbilder" meint im allgemeinen Gebrauch inhaltlich gefasste Gottesvorstellungen, Konzepte einer Entität, die ein jeweiliges Glaubenskollektiv begründet. Diese Konzepte können sich je nach Kulturkreis, politischem Framing, gesellschaftlichem Kontext und konkreter Aktualisierung erheblich unterscheiden, selbst da, wo "der gleiche Gott" gemeint sein mag, wie im avancierten interreligiösen christlich-islamischen Dialog. Für den substanzialistisch orientierten Religionswissenschaftler Gustav Mensching steht hinter allen Gottesbildern die gemeinsame "Erfahrung des Heiligen", sie meinen ihm zufolge eine und die gleiche Entität. Und so nennt er in seiner bemerkenswerten religionsgeschichtlichen Publikation von 1960 alle Verkünder, Propheten, Religionsgründer "Söhne Gottes" - die "Töchter" im Banne der Überlieferungsgeschichte ignorierend. Gleichwohl ist seine Arbeit ein gutes Sprungbrett für die übergreifende Beschäftigung mit Gottesvorstellungen. Gewiss kann das Wort "Gottesbilder" auch Abbildungen, bildliche Konkretionen einer jeweiligen Gottesvorstellung benennen - wofür in der Regel allerdings Ausdrücke wie "körperliche Darstellung des Göttlichen" oder "bildliche Darstellung Gottes" verwendet werden. Auf dieser Seite geht es um Konzepte. Konkrete Bilder, Abbildungen werde ich nur ergänzend einstreuen, sie den Kurzessays zu Gottesvorstellungen beigesellen. Dem eingedenk, dass diese Bilder stets Konzepte zur Grundlage haben, sie deuten, stützen, kommunizieren. Im Fokus steht jeweils entweder ein Prinzip, eine sich auch in Götterpluralitäten durchhaltende oder aufscheinende Macht, Entität, Wesenheit - oder eine in einzelnen Gottheiten oder Gottesvorstellungen konkretisierte spezifische Auffassung des Numinosen von übergeordneter Bedeutung. Ich folge dabei meinen eigenen Interessen und Erfahrungen, bin aber auch bemüht, einen leitenden Überblick zu bieten, ein bruchstückhaftes Mosaik dessen, was historisch partikular "Gott" hieß oder bedeuten konnte. Allen hier vorgestellten Gottesbildern gemeinsam ist eine monotheistische Tendenz. Auch wenn noch immer oft zu lesen ist, der (jüdisch-christliche) Monotheismus sei eine Weiterentwicklung aus dem (frühhistorischen bzw. griechisch-römischen) Göttergewimmel: Ich folge hier heuristisch der neueren Auffassung, dass die Unterscheidung Monotheismus versus Polytheismus keine substantielle Grundlage habe, dass diese beiden Kategorien unterschiedliche funktionale Ansprüche an Religion reflektierten. Sie können so nebeneinander Anwendung finden, als Konstruktionen unterschiedlicher Perspektiven. Lektüreempfehlung: Gustav Mensching, Die Söhne Gottes. Aus den Heiligen Schriften der Menschheit, Wiesbaden: Löwit, 1960 Abbildung: Druck aus der Hiob-Serie Gustave Dorés. |
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INHALT Sintflutbericht - Kubaba - Mutter Erde - Echnatons Aton - Altes Testament - Mithras - Enūma eliš - Brahman-Atman - Hieros Gamos - Ahura Mazda - Buddha - Neues Testament - Manichäismus - Islam - Das Dritte Reich des Geistes - Zimzum - Spinozas Deus sive natura - Friedrich Nietzsche: Der Tod Gottes - Der persönliche Gott bei Edith Stein - Die Namen Gottes - Der Fall Rautavaara Die Reihung der Texte folgt einem groben zeitlichen Muster, das angesichts der oft unklaren oder unzureichenden Befunde, der Gleichzeitigkeiten und Überlappungen sowie der komplexen geschichtlichen Entwicklung der Konzepte in Wechselbeziehungen nicht zu eng genommen werden darf. |
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Sintflut - Strafender und helfender Gott
Der älteste überlieferte Sintflut-Bericht findet sich auf
der 11. Tafel des Gilgamesch-Epos. Das Epos ist wohl in der
Spätbronzezeit, ab etwa 1.800 vor Christus, entstanden und
zuletzt etwa 1.200 vor Christus überarbeitet, von
Sin-leque-unnini, überliefert in sumerischer Keilschrift.
Erhalten sind vor allem große Teile der Tafeln von 1.200,
aber auch Fragmente des Urtextes. |
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Kubaba - Tavernenwirtin und Große Mutter
Eine der ältesten namentlich bekannten weiblichen Gottheiten
ist die hurritische Kubaba (Ku-Baba, Kubabat, kbb, Kug-Bau),
dokumentiert in Kültepe/Kaniš im 19. Jahrhundert vor
Christus als Kubabat und als Stadtgöttin von Karkamiš am
oberen Euphrat vor der Eroberung durch die Assyrer als
Kubaba. |
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"Mutter Erde" in der Atharvaveda
Die Atharvaveda ist eine Textsammlung des Hinduismus, die
vor allem Zaubersprüche, Darstellungen magischer
Überzeugungen und Beschreibungen magischer Praktiken
enthält. Kanonisiert wurde die Sammlung als 4. Veda zu
Rigveda, Samaveda, Yajurveda erst im 3. vorchristlichen
Jahrhundert, allerdings stammen die Texte oder die Vorlagen
zu den Texten teilweise aus weit älteren Zeiten, bis zurück
an den Beginn des 2. vorchristlichen Jahrtausends. Besonders
interessant als einer der ältesten schriftlichen Belege
matriarchaler religiöser Vorstellungen ist die "Hymne an die
Erde", wie Kanda XII, Sukta 1, Mantras 1-63 der Atharvaveda
in den deutschen Übersetzungen genannt wird (ich zitiere
folgend nach Klaus Mylius, "Älteste Indische Dichtung und
Prosa"). In diesem Text gibt es deutliche Hinweise auf den
Bergbau, was nahelegt, dass er in der frühen indischen
Eisenzeit entstanden ist, zum Ende des 2. Jahrtausends vor
Christus. So heißt es im Mantra 35: "Was ich von dir, o
Erde, ausgrabe, das soll schnell zuheilen. Laß mich, o
Reinigende, nicht deine empfindliche Stelle, nicht dein Herz
durchbohren!" |
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Echnatons SonnengottEchnaton (18. Dynastie, Neues Reich, 2. Hälfte 14. Jahrhundert vor Christus) wird im populären Verständnis als Begründer des Monotheismus gefeiert. Wissenschaftlich ist sowohl offen, ob er einen stringenden Monotheismus vertrat, als auch, ob er seine monotheistischen Ansätze nicht von anderen übernommen habe. Seine Verfolgung anderer Götter betraf vor allem Amun, andere wurden eher ignoriert. Und monotheistische Konzepte finden sich auch schon in der Rigveda, etwa in 10.121 oder 10.129. Unbezweifelt allerdings kommt Echnaton zu, als erster individuell greifbarer Religionsstifter aufzutreten, auch wenn sein Vater Amenophis III. bereits Vorarbeit geleistet hatte.Der primär mit Aton verbundene Sonnenkult war ein wichtiges Element der altägyptischen Religion. Bei Echnaton wurde er beherrschend - und nach einer verbreiteten Auffassung ging es Echnaton dabei auch darum, den parallelen Amun-Kult und dessen politisch einflussreichen Apologeten zu entmachten. Dem widerspricht allerdings der Ägyptologe Christian Bayer in seiner Ausgabe der beiden Echnaton zugesprochenen Sonnenhymnen von 2007 bei Reclam. Für Bayer war Amun zum einen auch eng mit dem Sonnenkult verbunden, zum anderen konnte die Amun-Priesterschaft als loyal gelten. Während weite Teile der Forschung bei Echnaton primär eine Neuformulierung des altägyptischen Henotheismus erkennen, wurde nach Auffassung von Erik Hornung ("Der Eine und die Vielen", 1971) von Echnaton mit der Verschiebung von Amun zu Aton als oberstem Gott zunächst zwar "nur" eine Dominanz der Lichtgottheiten eingeleitet, in der Zielsetzung sei es Echnaton aber um die Ausschaltung aller anderer Götter neben Aton gegangen, also um einen Monotheismus. Im strengen Unterschied zu den später folgenden monotheistischen Offenbarungsreligionen beruft Echnaton sich jedoch nicht auf eine Intervention Atons, sondern macht sich selbst - im Stil des tradierten Preisgesangs - im "Großen Hymnus an Aton" zum (von seinem höchsten Beamten Eje) zitierten Verkünder und Vermittler der umfassenden Macht Atons. Umfassend allerdings primär für die Belange der Menschen, im Besonderen Ägyptens - allerdings werden auch "Fremdländer" von ihm geschützt. Darüber hinausgehende Horizonte werden nicht angesprochen, auch nicht eine Verpflichtung Aton bzw. seiner Schöpfung gegenüber, wie dies im thematisch durchaus vergleichbar aufgebauten "Hymnus an die Erde" der Atharvaveda geschieht. Psalm 104 im Alten Testament erscheint als eine Umformulierung des Echnatonschen Hymnus, wobei als markantes neues Element hier "die Sünder" erscheinen. ![]() Echnatons Gottesvorstellung ist durch Klarheit und Eindeutigkeit ausgezeichnet. In besonderer Weise eindeutig ist sein Gott auch in der Geschlechtlichkeit: Er ist geschlechtslos. Seine "Gattin" Ma'at verkörpert in den Sonnenhymnen Wahrheit und Gerechtigkeit und bestätigt damit seine Geschlechtslosigkeit. Echnatons Gott ist weder strafend noch fordernd, sondern, durchaus "Mutter Erde" vergleichbar, versorgend und gewährend. Allerdings auch limitierend nach seinen Gesetzen, "Jeder einzelne erhält seine Nahrung und ihre (der Menschen - H.Sch.) Lebenszeit ist gezählt". Hornung sieht die besondere Leistung Echnatons darin, "mythische durch rationale Aussage, mehrwertige Logik durch zweiwertige" ersetzt zu haben (Hornung 1971, S. 241). Aus moderner mythologiekritischer Sicht mag dies so erscheinen, im Vergleich Echnaton-Atharvaveda wird diese Auffassung jedoch problematisch. Echnatons Aton-Mythos reduziert den schier unübersehbaren Vorrat ägyptischer Mythologeme auf den Kern der göttlich-menschlichen Interaktion und (einseitigen) Abhängigkeit. Dies steht quer zur traditionellen Unterscheidung Mythos-Logos. Ich sehe eher eine durch gesellschaftlich gegebene Herrschaftsinteressen instrumentalisierte Mythologie ersetzt durch eine erstaunlich pragmatische Sicht auf das Göttliche als erhaltenden Naturzusammenhang. Leider wissen wir zu wenig über die von Echnaton installierte Verwaltungspraxis um beurteilen zu können, wie weit seine Reformen tatsächlich an pragmatischer Lebensverbesserung interessiert waren - oder nur daran, die eigene Macht absolut zu begründen und zu legitimieren, wie die kritische Sicht auf Echnaton behauptet. Im etwas später abgefassten sogenannten "Kleinen Hymnus" wird Aton ausdrücklich nicht nur als Schöpfer und Erhalter der Welt, sondern auch als Schöpfer seiner selbst angesprochen. Sonnenhymnen waren eine eigene Textgattung innerhalb der altägyptischen Lithurgie. Jan Assmann bietet alleine aus der Amarnazeit 7 Beispiele, darunter die beiden Echnaton zugesprochenen, der "Große" und der "Kleine Hymnus". In fast allen von Assmann versammelten Hymnen, wie immer sie auf den alten Sonnengott Re, auf Amun oder Aton oder in einem großen Hymnus auf Ptah bezogen sind, erscheint Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt und konkret auch der beiden Länder Ägyptens. "Die arabische Wüste ist von zerbrochenen Gottesvorstellungen umsäumt." So heißt es im "Buch Franza", dem unvollendet gebliebenen Roman Ingeborg Bachmanns über ein problematisches Geschwisterpaar, das auf einer Ägyptenreise sein Heil sucht. Angesprochen wird bei Bachmann auch wiederholt der Mythos von Isis und Osiris, des göttlichen Geschwisterpaares, das gemeinsam Horus zeugte, der als Schutzgott der Pharaonen galt. Echnaton war gewiss einer der bedeutendsten "Zerbrecher" von Gottesvorstellungen, auch wenn es nach seinem Tod zügig zu einer Restauration der alten Pluralitäten und Komplexitäten kam. Quellen: Jan Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete, Universitätsverlag Freiburg Schweiz/Vandenhoeck&Rupprecht Göttingen, 1999 Christian Bayer, Echnaton. Sonnenhymnen, Reclam Verlag, 2007 Lektüreempfehlungen: Erik Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1971 Abbildung: Echnaton und Nofrete mit drei Töchtern unter Atons Strahlen |
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Der alttestamentarische Gott
Gibt es überhaupt den einen alttestamentarischen Gott? Für
die einen ist er der strafende, für die anderen der
liebende, beschützende Gott. Das Christentum hat lange einem
liebenden Gott des Neuen Testaments einen grausamen Gott des
Alten Testaments gegenübergestellt. Heute dominiert die
Auffassung eines schon im Alten Testament auch wohlwollenden
Gottes. |
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Mithras - Welterhalter im Zeichen des Stieres
Der Mithraskult wurde in besonderer Weise geadelt durch die
häufig zitierte, aber umstrittene Aussage des
Religionswissenschaftlers Ernest Renan in "Marc Aurèle ou la
fin du monde antique" von 1882: " On peut dire que, si le
christianisme eût été arrêté dans sa croissance par quelque
maladie mortelle, le monde eût été mithriaste." (Renan 1882,
S. 390) |
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Enūma eliš - Als oben der Himmel noch keinen Namen hatte1875 wurden die ersten Tafeln des babylonischen Schöpfungsberichtes (Enūma eliš - "Als oben" - nach dem Textanfang) von Georg Smith in den Ruinen von Ninive entdeckt. Das Werk erstreckt sich über sieben Tafeln. Wir erfahren allerdings wenig über die Erschaffung der Welt, mehr über die Erschaffung der Götter und die Kriege zwischen den Göttern. Die erste Tafel deutet immerhin die Scheidung von Wasser und Land an und die Erschaffung der Zeit, ansonsten geht es schon hier hauptsächlich um die Götter. Als erstes Götterpaar werden, ungeschaffen, Apsu - erster Erzeuger - und Tiamat - erste Gebärerin - genannt, die mit der Zeugung von Lachmu und Lachamu, dann Ansar und Kisar und weitere zu Anu und Ea/Nudimmud bis hin zu Marduk die Schöpfung initiieren. Es kommt zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Apsu, den das Gelärme seiner Nachkommen belästigt und diesen. Dabei wird Apsu von Anu getötet. Die Tafeln Zwei bis Vier schildern die Kämpfe zwischen Tiamat auf der einen Seite, ihren göttlichen Nachkommen auf der anderen. Dabei kommt es in der vierten Tafel zu einem Entscheidungskampf zwischen Marduk als "der Herr" und Tiamat, mit Sturmwinden und einer Meeresflut, die sich vernichtend gegen Tiamat wenden. Am Ende der vierten Tafel steht die Erschaffung von Erde und Himmel aus dem Leichnam Tiamtus durch Marduk. Dann folgt auf der fünften Tafel die Schaffung der Sterne/Sternbilder als Sitze der Götter nach Beendigung der Kämpfe und die Gestaltung der Erdoberfläche durch Marduk. Mit der Schöpfung des Menschen wiederum durch Marduk befasst sich die sechste Tafel. Am Ende der sechsten Tafel und auf der abschließenden siebten Tafel wird die "neue Ordnung" zwischen Menschen- und Götterwelt geschildert und beschworen.Dass es anders als in der Genesis nicht um eine schrittweise Schaffung der Grundelemente unserer Welt geht, um Himmel und Erde, Wasser und Grund, Wind und Feuer, Tiere und Pflanzen, wird bisweilen, auch im Blick auf die ägyptischen Schöpfungsvorstellungen, damit begründet, dass die Götter doch jeweils für bestimmte Bereiche zuständig seien und die Schaffung der Götter zugleich mit die Schaffung ihrer Herrschaftsbereiche bedeutet. Dies ist allerdings im babylonischen Schöpfungsbericht nur ansatzweise zu erkennen, insofern Lachmu und Lachamu mit Materie und Zeit verbunden werden können, Ansar und Kisar mit Himmel und Erde. Allerdings wird auf der vierten Tafel dann explizit die Schaffung von Himmel und Erde durch Marduk verkündet. Bemerkenswert an diesem Schöpfungsbericht ist auch, dass der Schöpfer der Menschen (Marduk) zunächst einmal den allerersten ungeschaffenen weiblichen Schöpfer der (Götter-)Welt (Tiamat) vernichten muß, ehe er seine Herrschaft aufrichtet, beginnend mit der Schöpfung einer menschliches Leben begründenden Welt. Ähnliches kennen wir aus der griechischen Götterwelt mit ihrer Kette von Vatermorden - während das Christentum anhebt mit der Ermordung des Sohnes. Hinter der Aufwertung Marduks steht für die Forschung der Kampf mesopotamischer Städte um die Vorherrschaft. Marduk ist Stadtgott von Babylon, das unter Hammurāpi (1792-1750 v. Chr.) erheblich an Einfluss im Zweistromland gewinnt. Und der Schöpfungsbericht ist zweifellos in Babylon entstanden, vermutlich allerdings erst unter Nebukadnezar I. (etwa 1125-1103 v. Chr.), denn erst ab dieser Zeit wurde Marduk als König der Götter (šar ilī) bezeichnet. Wesentliche Aufgabe dieses Schöpfungsberichtes - und damit auch seines Gottes Marduk - ist es offenkundig, Babylon als Zentrum der Welt zu legitimieren. Marduk steht für eine deutlich partikular funktionalisierte Gottesvorstellung. Er wird vorgestellt nicht nur als Schöpfer der für die Menschheit relevanten Welt (Überschneidungen mit dem Sintflutbericht sind nicht zu verkennen), sondern auch der Sinnstrukturen des Himmels, als Gott der im Zweistromland ab nun gesellschaftsleitenden Astrologie-Astronomie. Marduk ist Gott der die Menschen leitenden Sterne, der "oben" dem Himmel seinen Namen gab. Lektüreempfehlung: Thomas Kämmerer/Kai Metzler (Hrsg.), Das babylonische Weltschöpfungsepos Enūma elîš, Münster: Ugarit-Verlag, 2012 |
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Brahman-Atman: Tattvam asi
Mircea Eliade unterscheidet in "Geschichte der religiösen
Ideen", Band 1, Kapitel 75, vier Typen von Kosmogonien, die
sich in den Veden finden: Befruchtung der Urgewässer,
opferhafte Zerstückelung eines Ur-Riesen, Schöpfung aus
einer das Nichts umfassenden All-Einheit, Scheidung von
Himmel und Erde. Elemente dieser Konzeptionen, abgesehen von
der Zerstückelung eines Ur-Riesen, finden wir auch in der
Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes, der Genesis
wieder. All diese Vorstellungen hintergeht die in einigen
Upanishaden ab etwa 900 vor Christus entwickelte Konzeption
des Brahman, der fortgeschrittenen Gestalt des "tad ekam"
("Das Eine", All-Eines") aus dem Rigveda 10.129 (Nāsadīya
Sūkta, "Schöpfungshymne"), als identisch mit dem Atman, der
Weltseele, als zugleich Ursubstanz und Schöpfung und
Erhaltungsprinzip. Wobei das Atman als Individualseele in
uns meditierend erfahrbar ist und daraus weiters die
Identität von Atman und Brahman. |
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Hieros Gamos - Die Heilige Hochzeit
Auf der ersten Tafel des babylonischen Schöpfungsberichtes
"Enūma eliš" wird die Vermischung der beiden Wasser, des
Süßwassers der Gottheit Apsu (männlich |
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Ahura Mazda und die Geburt des Bösen aus dem Geist der
Lüge
In der Götterwelt des altpersischen Reiches gab es, in
historisch noch nicht aufgeklärter Verflechtung mit Mithras,
die höchste Gottheit Ahura Mazda/Ohrmazd/Hurmuz und seine
Kreationen Angra Mainyu sowie Spenta Mainyu, zerstörerischer
versus aufbauender Geist. In welchen Kontexten Angra Mainyu,
das negative Prinzip, zu Ahriman/Ahreman als Gegenspieler
Ahura Mazdas wurde, lässt sich den Quellen nur mit hohen
Ungewissheiten entnehmen. Ebensowenig, wie weit Ahreman als
gleichberechtigte, gleichmächtige Gottheit neben Ahura Mazda
ausgestaltet wurde. In der Forschung gilt das mit
Zarathustras Name verbundene System überwiegend als
dualistischer Entwurf neben dem alttestamentarischen
Monismus. Neben einem Monismus, der auch den Satan kennt und
diesen ganz ähnlich zeichnet, wie Ahreman gezeichnet wird,
als Betrüger, der die Menschen verführt. |
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BuddhaSiddhartha Gautama/Gotama (nach der "korrigierten langen Chronologie" 563-483, nach anderen Berechnungen 450-370 v. Chr.) wurde als Sohn des Fürsten Shudhodana ("der reinen Reis züchtet") aus der Sippe der Shakya im heutigen Nepal geboren, in Lumbini bei Kapilavastu. Der Beiname Buddha bedeutet "der Erwachte" und wurde ihm als erstem gegeben, dann aber auch auf eine Reihe von Vorgängern und Nachfolgern übertragen. Ein weiterer Beiname war Shakyamuni - der Weise aus dem Shakya-Geschlecht. Gautamas Vater war im heutigen Sinne vermutlich eher ein wohlhabender Gutsherr und Gouverneur, nicht, wie die Überlieferung möchte, ein prächtiger "König". Sein Reich mit Kapilavastu als Hauptstadt war von Begehrlichkeiten mächtiger Nachbarn bedroht. Vor allem von der südwestlich gelegenen Koshala-Monarchie, der die Shakya tributpflichtig waren. Koshala gehörte noch zum Einflußbereich des Brahmanentums, während das kleine Reisbauern-Reich der Shakya religiös von Naturverehrung und asketischen Wandermönchen geprägt war.Die Ehe der Eltern Gautamas blieb 20 Jahre kinderlos, bis der späte Sohn geboren wurde. Seine Mutter starb wenige Tage nach der Geburt, ihre Schwester trat an ihre Stelle. Im Alter von 16 Jahren wurde Gautama mit einer Cousine verheiratet. Mit 29 bekam er einen Sohn, den er Rahula nannte, was er später einmal als "Fessel" explizierte. Im gleichen Jahr unternahm er die berühmten Ausfahrten, bei denen ihm zunächst Alter, Krankheit und Tod begegneten, was ihn, der bislang der Legende zufolge abgeschirmt von den Unbilden des Lebens aufgewachsen war, tief erschütterte. Die vierte Ausfahrt führte ihn mit einem asketischen Wandermönch zusammen, dessen Leben er als vorbildlich ansah, um Alter, Krankheit und Tod nicht mehr fürchten zu müssen. Woraufhin er die Familie verließ, um ein Leben als Wanderprediger zu führen, was im damaligen Indien ein durchaus verbreitetes Verhalten gewesen zu sein scheint. Im Alter von etwa 35 Jahren erreichte er der Überlieferung zufolge unter einem Pappelfeigenbaum/Bodhibaum sein Erwachen. Darauf erhielt er den von ihm selbst auch beanspruchten Beinamen "Buddha" ("der Erwachte") und in späteren Texten "Siddhartha" ("der das Ziel erreicht hat"). Kern seiner Lehre ist die Arbeit an der Überwindung des Lebenswillens, den er als Ursache allen Werdens (einschließlich der Wiedergeburt) und damit auch allen Leidens ansah. Damit verbunden ist in eigentümlicher Gegenspannung zu unübersehbar eskapistischen Zügen im Leben und in der Lehre des Buddha auch die Zuwendung zu weltlichem Leid, um dieses zu mildern. Auf den ersten Blick und besonders im Blick auf die westliche Rezeption erscheint der Buddhismus als Religion einer saturierten Gesellschaftsschicht, die schon ausreichend mit materiellen Güter versehen ist und nun auch noch die Befreiung von Alter, Krankheit und Tod begehrt. Seine erste Predigt vor den Anhängern nach dem Erwachen begann der Überlieferung zufolge mit den Worten "Öffnet euer Ohr, ihr Mönche: Die Erlösung vom Tode ist gefunden." Doch er erreichte als Wanderprediger auch die einfachen Leute, so die Überzeugung von Axel Michaels: "Er sorgte sich um das 'Seelenheil' aller, weitgehend unabhängig von ihrem sozialen Stand, ihrer Herkunft, ihren rituellen Verpflichtungen und ihren ökonomischen Möglichkeiten." (Michaels 2011, S. 25). "Seine Lehren erschütterten den jahrhundertealten vedischen Opferritualismus der Brahmanen" (ebd.). Buddha hat sich nach der Überlieferung selbst nie als Gott gesehen, nicht einmal als Guru, sondern lediglich als Überbringer einer Lehre. Dass er indes zu einem Gott gemacht wurde durch seine Anhänger verweist auf ein Desiderat, das Desiderat eines Gottes für alle, nachdem die Brahmanen-Kaste in Indien das Numinose zu einer spekulativen Entität gemacht hatte, zugänglich nur Eingeweihten. Lektüreempfehlung: Axel Michaels, Buddha. Leben, Lehre, Legende, München: C. H. Beck, 2011 |
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Jesus Christus
Die Christus-Vorstellung ist eine der erstaunlichsten
Konzeptionen, die kulturgeschichtlich zur gesellschaftlichen
Verhaltensregulation entwickelt wurden. Ihr Kern besteht aus
drei (schon im Alten Testament zu findenden) Elementen, die
ich benennen möchte als "Nullstellung", "Liebe" und
"Utopie", analog zur Trias "Glaube, Liebe, Hoffnung". Die
"Nullstellung" (keineswegs zu verwechseln mit einem
modernistischen "Reset") impliziert die Möglichkeit eines
radikalen Neuanfangs, der selbst die "Erbsünde" aufzuheben
vermag in einem Glaubensakt, der von individueller wie
kollektiver Vergangenheit absieht. Dieser Glaubensakt bedarf
einer Verstetigung durch die Bindung an ein Prinzip, das
alles Gegenwärtige zunächst einmal vorbehaltlos bejaht und
jede Fortsetzung vergangener Auseinandersetzungen und
Konkurrenzen aussetzt in einem permanenten Akt von Selbst-
und Fremdbejahung ("liebe deinen Nächsten wie dich selbst").
Und schließlich wird jedem vergleichenden Zweifel begegnet
durch die Blickwendung nach vorne, sei es in diesseitiger
Erfüllung in der Nachfolge Christi, sei es durch die
Erwartung von Wiederkunft, Gericht und Auferstehung. |
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Der Gott der Lichtwerdung
Eine der über Jahrhunderte erfolgreichsten Religionen der
Welt, mit einer Ausdehnung von Westeuropa bis China, vom 3.
nachchristlichen Jahrhundert bis ins 16. Jahrhundert, war
der Manichäismus. In der Forschungsliteratur wird der
Manichäismus bisweilen auch als ernsthafte Konkurrenz des
Christentums in Spätantike und frühem Mittelalter angesehen.
Ihr bekanntester Anhänger war der spätere "Kirchenvater"
Augustinus in seinen Jugendjahren. Seine Neuformulierung des
Christentums ist vielfältig durch den Manichäismus geprägt,
in Abgrenzung wie in Übernahmen. |
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Gott als Kampfgefährte
Muhammad ibn Abd Allah wurde in Mekka 570 geboren, sein
Vater starb kurz vor der Geburt, seine Mutter als er sechs
Jahre alt war. Er lebte gleich nach der Geburt bei seiner
Amme, später bei seinem Großvater. Der Großvater bezog seine
Einnahmen teilweise aus dem Pilgerwesen. Später wurde
Mohammed von einem Onkel mit auf Handelsreisen genommen, auf
denen er das Christentum vertieft kennenlernte. Mit 40
Jahren begründete er den Islam, 622 übersiedelt der
Religionsgründer auf Druck seiner Gegner von Mekka nach
Yathrib/Medina, 630 eroberte er mit seinen Anhängern Mekka,
632 starb er dort. |
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Joachim von Fiore. Das Dritte Reich des GeistesJoachim von Fiore (~1130/35-1202) war Sohn eines Notars in Diensten des normannischen Hofes, geboren in Celico/Kalabrien, an den Hängen des Sila-Gebirges bei Cosenza. Nach einer standesgemäßen Ausbildung arbeitete er einige Jahre als Notar in Cosenza und dann in der Kanzlei am Hof von Wilhelm I. in Palermo. Ab etwa 1160 widmete er sich verstärkt religiösen Themen, pilgerte 1166/67 nach Jerusalem, zog als Prediger durch die Lande und trat schließlich in das Zisterzienserkloster Corazzo ein, wo er als Abt wirkte. Bemühungen, sein Kloster einem anderen zu affilieren, scheiterten zweimal mit der Begründung, seine Mönche seien zu arm. 1188 wurde Corazzo an Fossanova (Latium) affiliert. Joachim verließ dann sein Kloster und zog sich zurück, sammelte in seiner Einsiedelei jedoch eine Gruppe von Anhängern um sich, mit denen er ein Johannes-Kloster im Sila-Gebirge gründete, das die Regel des Heiligen Benedikt erneuern sollte. 1191 wurde sein Orden der Florenser anerkannt, als strengere Abspaltung von den Zisterziensern, die ihrerseites erst 1098 als Orden einer strengeren Observanz des Benediktinertums bestätigt waren. Joachim lebte und wirkte im zeitlichen und konzeptionellen Umfeld einer außergewöhnlichen Belebung des Mönchtums und der Blüte zahlreicher religiöser Bewegungen, etwa des Katharertums, er war älterer Zeitgenosse des Franz von Assisi und des Dominikus von Caleruega.Er begann seine religiöse Wirksamkeit als apokalyptischer Wanderprediger, der das unmittelbar bevorstehende Erscheinen des Antichristen und den Anbruch des Tausendjährigen Reiches verkündete. Wie auch die anderen Apokalyptiker seiner Zeit bezog er sich dabei auf das Johannesevangelium. 1185 hatte er nach eigenem späteren Bekenntnis bei der Lektüre des Johannesevangelium (Joh. 14,16ff) zu Ostern seine Vision vom Dritten Reich des Geistes, das angebrochen sei, nach dem Reich des Vaters und dem Reich des Sohnes. Seine um das Jahr 1200 ausgearbeitete Konzeption vom Dritten Reich ist widersprüchlich und bricht implizite mit den vertrauten messianischen Konzeptionen, die er selbst zunächst vermutlich vertreten hatte, in zweifacher Weise. Zum einen folgen seine drei Reiche nicht abrupt aufeinander, sie überschneiden sich vielmehr. Zum zweiten verdankt sich die Verwirklichung des Dritten Reiches nicht einer singulären Erlöserfigur, Protagonisten sind vielmehr im Grundsatz alle Menschen, vorrangig gelehrte Mönche, aber auch Laien, Männer wie Frauen, ausgezeichnet durch eine besondere Gottesnähe ohne Unterwerfung oder Gefolgschaft. "Es ist nicht nur der Kreuzestod Christi, der von den Sünden befreit, die Erlösung ex toto bringt erst die endzeitliche Ausgießung des Heiligen Geistes." (Riedl 2004, S. 268). Das Reich des Vaters (mit dem Gott Abrahams) ist nach einer berühmten späten Bildtafel des Joachim zunächst bestimmt durch das Alte Testament, dann auch durch das ![]() Joachims Geist-Gott greift wieder den Ansatz zur gesellschaftlichen Organisation auf, der den alttestamentarischen Gott auszeichnet, legt nun aber die Entwicklung von Regelwerken in die Hände der Menschen, die Mitglied der Kirche sind, ob Mann oder Frau, als Aushandlung und Einsicht, nicht als rigide Gesetzesbefolgung. Fiores kategoriale Bestimmungen für diese Phase der Menschheitsentwicklung lauten: "noch reichere Gnade", "Vollkommenheit der Erkenntnis", "Freiheit", "Liebe" und "Freundschaft". Der Beginn habe bei Benedikt von Nursia gelegen, im Überschneidungsbereich aller drei "Reiche". Nach diesem tausendjährigen Friedensreich (das nach dem Joachimschen Schema genau besehen zur Lebenszeit Joachims bereits 500 Jahre währte) folgt allerdings auch bei Joachim das "Finis mundi" mit dem etablierten Programm, Auferstehung der Toten, Jüngstes Gericht. Joachims Einfluss auf Lessings Aufklärung und die Geistphilosophie Hegels ist bekannt, auch wenn dieser Einfluss inhaltlich bei beiden kaum explizit wird. Auguste Comte reihte den Ordensgründer ein in die Ahnenreihe des Positivismus. Friedrich Engels bezieht sich in seinem Buch über den Bauernkrieg auf Joachim von Fiore, später Ernst Bloch in "Das Prinzip Hoffnung". Für den Soziologen Eugen Rosenstock-Huessy war die russische Revolution ideologisch durch Joachim von Fiore inspiriert. Die immer wieder behaupteten Bezüge des Nationalsozialismus zu Fiores Konzeption vom "Dritten Reich des Geistes" - angeblich vermittelt durch Arthur Moeller van den Brucks Buch "Das Dritte Reich" von 1923 - lassen sich nicht belegen. Moeller erwähnt Joachim von Fiore nicht, bezieht sich allerdings gelegentlich auf Hegel. Im übrigen hat der Nationalsozialismus sich entschieden von Moellers Konzeption einer konservativen Revolution distanziert (vgl. André Schlüter 2010). Und die Prophezeiung eines Tausendjährigen Reiches stammt aus der Johannes-Offenbarung, 20. Kapitel. Gelegentlich wird zur näheren Bestimmung auch auf Joh. 18,36 und andere Bibelstellen verwiesen, die allerdings keine Zeitdauer nennen. Matthias Riedl kommt in seiner materialreichen politologischen Dissertation allerdings zum Schluß, dass Joachim "weder ein Revolutionär noch ein Utopist, sondern ein Reformer" gewesen sei, ein Reformer der bestehenden "römisch-katholischen Papstkirche" (Riedl 2004, S. 204). Joachims Vision war, so Riedl, die "vollendete Kirche" mit dem Ende jeder weltlichen Herrschaft im Diesseits (Riedl 2004, S. 278). Vergleiche mit dem Philosophenstaat Platons drängen sich auf, aber auch der Begriff "Gottesstaat", ohne das dualistische Komplement einer Civitas terrena wie bei Augustinus. Quelle: Marjorie Reeves/Beatrice Hirsch-Reich, The Figurae of Joachim of Fiore, Oxford: Oxford University Press, 1972 Lektüreempfehlung: Matthias Riedl, Joachim von Fiore. Denker der vollendeten Menschheit, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004 Abbildung: Trinitätskreise aus dem Liber Figurarum des Joachim von Fiore |
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Zimzum - Gott und der leere RaumDie jüdische Kabbala erlebte im 16. Jahrhundert eine Zeit intensiver Erneuerung in der Stadt Safed, auf 840 Metern Höhe in den Bergen Galiläas gelegen. Sie gehörte damals zum Osmanischen Reich, das Religionsfreiheit gewährte und zuließ, dass Safed, eine der vier heiligen Städte des Judentums, sich zum Zentrum jüdisch-kabbalistischer Gelehrsamkeit entwickelte. Dies unter anderem durch den Zustrom spanischer Juden, die nach dem Religionsdekret von 1492 ihre Heimat verlassen hatten.In dieser Stadt, die zugleich als Handelsmetropole und für die Textilherstellung wichtig war, lebte ab 1569 der Kabbalist Isaak Luria, geboren 1534 in Jerusalem, gestorben 1572 in Safed. Als junger Familienvater hatte er in Kairo gearbeitet, im Umfeld eines wohlhabenden Onkels, als Händler für Pfeffer, Wein, Weizen, Leder und Seide. Zugleich war er Schüler der Oberrabbiner von Ägypten. Häufig zog sich Luria unter der Woche zur religiösen Versenkung auf eine Nilinsel zurück, die dem Onkel gehörte. In Safed wurde er dann Schüler des damals maßgeblichen Kabbalisten Cordovero. Nach dessen Tod stieg er 1570 umgehend zu einem der führenden Kabbalisten Safeds auf und sammelte rasch eine in verschiedene Chavurot (Gemeinschaften) gegliederte Schülerschaft um sich. Seine Lehre trug er nur mündlich vor, seine Schüler wurden von ihm dazu verpflichtet, keine Inhalte des Unterrichts weiterzugeben. Im Zentrum des für die Nachwelt besonders bedeutsamen Teils seiner Lehre steht das Zimzum, der Rückzug Gottes. In der rabbinischen Tradition wurde der Begriff der Selbstkonzentration ("azamzem") Gottes verwendet für Gottes Einzug in die Bundeslade des Volkes Israel zur Bestätigung des Mosaischen Bundes. Im Sohar finden wir bereits einen Rückzug, der den Lurias vordeutet, als "zurückgezogenes Licht" im Abschnitt "Das Licht des Urquells" (Der Sohar, Diederichs Verlag 1982, S. 50) - das allerdings ein Geschaffenes ist. Bei Luria nun erscheint nach den Darstellungen seiner Schüler eine allererste Zusammenziehung, Selbstbeschränkung Gottes VOR dem Beginn der Schöpfung. Diese bedeutet nicht die Konzentration an einem Ort, sondern das Freimachen eines Ortes in Gottes Mitte. Gott als Ejn Sof, als Unendliches, als allumfassendes Licht, zieht sich von diesem Ort zurück und hinterlässt einen lichtlosen, gott-losen Raum. In diesem Raum vollzieht sich dann, einer schlauchförmigen Ausstülpung des das Nichts umgebenden Ejn Sof (das Unendliche Licht, eine Charakterisierung Gottes) folgend, die Emanation der 10 Sefirot und die Entstehung der 4 Welten, von denen die letzte, die unterste, unsere menschliche Welt, die dinghaft-materielle Welt ist, Assija. Zweiter Zentralbegriff mit neuer Deutung wurde in Lurias Lehre der "Tikkun". In der jüdischen Tradition bedeutet dieser Begriff "Reparatur, Heilung" im Sinne sozialer Fürsorge und Gerechtigkeit. Die Kabbala, insbesondere in der Fassung Lurias und seiner Schüler, wendet den Begriff vom menschlich-moralischen Bereich in die kosmologische Ordnung und bezeichnet damit den Heilsweg der Menschheit zur Überwindung des Bösen in der Schöpfung. Mit seinem Begriff des Tikkun verbindet Luria den Bereich des zurückgezogenen Gottes mit der materiellen Schöpfung, denn das religiös verpflichtete gute Handeln der Menschen (was bei Luria vor allem Askese, Gebet, religiöse Praktiken meint) löst die in der Schöpfung gefangenen Lichtteile und vereint sie wieder mit dem Ejn Sof. Parallelen zur Lehre des Manichäismus sind unübersehbar - es bleibt nur offen, wie diese Parallelen zu erklären sind, durch zufällige Strukturanalogien oder gemeinsame Quellen (etwa gnostische, die dem Rabbinertum als Häresien galten), durch einen Einfluss des Manichäismus auf Luria oder durch manichäisch beeinflusste Deutungen der Lehre Lurias in der Rezeptionsgeschichte. Und was ist das, was "repariert" werden soll durch den Tikkun? Der dritte Zentralbegriff der lurianischen Kosmologie, neben Zimzum und Emanation (die sehr schwankend bestimmt wird), ist der "Bruch der Gefäße" (shvirat ha-kelim). Mit ihm kommt das Übel in die Welt, mit ihm werden Lichtteile der Emanation gefangen und zur Befreiung im Tikkun bereit gemacht. Dabei bleibt die Lehre Lurias allerdings zwiespältig. Sie vermag die gnostische Doppelheit von Gott und Demiurg nicht befriedigend aufzulösen und hat kein schlüssiges Modell der Emanation. Ihre Konzeption des Zimzum als Schaffung eines leeren Raumes in der Mitte Gottes bleibt jedoch als substantieller Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Verbindung von Gottesidee und Kosmologie bestehen. Es waren die Schüler Lurias, die nach seinem frühen Tod die Lehre bekannt machten und verbreiteten, allen voran Chajim Vital und Joseph ibn Tabul, die der gleichen Chavura angehört hatten und offenkundig in einem Konkurrenzverhältnis zueinander standen (s. Schulte 2014, S. 48 und S. 80). Vital vor allem hat die Lehre Lurias systematisiert und in zahlreichen Schriften festgehalten, wieweit es dabei auch zu Abweichungen oder Ergänzungen kam, kann nur spekuliert werden. Allerdings gibt es zur kosmologisch-theologischen Darstellung des Zimzum und der nachfolgenden Schöpfung bei Vital weitgehende Übereinstimmung mit dem von Ibn Tabul überlieferten Text Drusch Chefzi Ba, der allerdings erst postum von seinen Schülern verbreitet wurde. Die komplexe Überlieferungslage macht es schwierig, klar festzulegen, was die Zimzum-Lehre bei Luria selbst ausmacht. Der Philosoph und Judaist Christoph Schulte betont in seinem Werk "Zimzum. Gott und Weltursprung", welches die Rezeption der Denkfigur des Zimzum bis in die Gegenwart verfolgt, die Differenz zwischen Gott und der Schöpfung, die Leere des von Gott bei seinem Rückzug zurückgelassenen Raumes. Der Judaist Gerold Necker vertritt dagegen in seiner Publikation "Einführung in die lurianische Kabbala" im Anschluss an Gershom Scholem die Auffassung, dass Luria in seinen späteren Vorträgen "die unüberwindliche Trennung zwischen Gott und seiner Schöpfung durchlässiger gemacht" habe (Necker 2008, S. 83). Die Lehre Lurias kann als Versuch gelesen werden, die Theodizee-Frage ohne Rekurs auf eine Schuld-Sühne-Konstellation zu beantworten. Gershom Scholem sah darin, zumindest im Konjunktiv, eine Reaktion auf die Vertreibung der jüdischen Glaubensgemeinschaften aus Portugal und Spanien (die auch Lurias Familie betraf). Gott selbst sei demnach "ins Exil" gegangen im Zimzum. Festzuhalten bleibt, dass die Darstellungen der lurianischen Lehre sehr heterogen sind, das geht hin bis zu konträren Deutungen. Für die einen ist das lurianische Zimzum die entschiedenste Abkehr von der "creatio ex nihilo"-Idee, für die anderen eine eigenständige Variante dieser. Für die einen steht es für die Abwesenheit Gottes von dieser Welt, für die anderen leistet sie eine besonders differenzierte Deutung der Präsenz Gottes in seiner Schöpfung. Zu beiden Deutungskonflikten empfiehlt sich die Lektüre von Necker 2008, S. 80-130, "Gott in der Schöpfung", im Kern die Seiten 84 bis 87. Ich persönlich sehe in der Denkfigur des Zimzum als Rückzug Gottes von sich selbst in sich selbst den Schlüssel zu einem ersten Verständnis Gottes als unvollkommen, fehlbar, vorläufig. Eine Aufforderung auch, das "Wo Es war, soll Ich werden" Freuds neu zu bedenken für die Ich-süchtige Gegenwart in seiner Umkehr, "Wo Ich war, soll Es werden" - keineswegs aber als reaktionärer Salto zurück. Der Orientalist Erich Bischoff setzt in seinem 1917 in stark überarbeiteter und erweiterter zweiter Auflage erschienenen Werk "Die Kabbalah. Einführung in die jüdische Mystik und Geheimwissenschaft" den Zimzum auch in Beziehung zum Begriff "Pyknosis" ("Verdichtung") der ionischen Naturphilosophie (Bischoff 1917, S. 99). Allerdings steht dieser in einem obligaten Wechselverhältnis zum Begriff der "Manosis" ("Verdünnung") und soll die Entstehung der Welt aus Urstoffen erklären. Für das Zimzum erfüllt der Begriff der "Emanation" in einem hoch problematischen Sinne die Funktion des Gegenbegriffs. ![]() Um den Stellenwert der Zimzum-Denkfigur bei Luria angemessen einschätzen zu können, ist es sicherlich sinnvoll, auch die Elemente praktisch-magischer Kabbala im Wirken Lurias zur Kenntnis zu nehmen. Erich Bischoff zitiert Chajim Vital, der von Luria berichtet habe, "daß er vermöge seiner kabbalistischen Kenntnisse auch die Sprache der Bäume, Pflanzen, Mineralien, Flammen usw., die Sprache der Engel und den Gesang der Vögel, sowie die Bedeutung des Vogelflugs verstanden (...) habe, (...). Auch habe er die Seelen Lebender und Toter gesehen und mit ihnen geredet und von ihnen himmlische Geheimnisse erfahren." (Bischoff 1917, S. 120f) Bei Necker findet sich diesen Bericht desgleichen (Necker 2008, S. 39), ferner detaillierte Ausführungen zur Seelenwanderungslehre bei Luria und zu Besessenheitsheilungen in seinem Umkreis (Necker 2008, S. 145-152). In jüngerer Zeit wird die Denkfigur des Zimzum vor allem in einer anthropologisch adaptierten Variante bedeutsam, als Modell für eine Tugend des Rückzugs, der Zurückhaltung, des Zurücknehmens eigener Herrschaftsansprüche, wie Christoph Schulte detailliert herausarbeitete. "Viele, insbesondere die künstlerischen, Aneignungen des Zimzum im 20. Jahrhundert sind gekennzeichnet durch eine Tendenz, den Zimzum von der göttlichen in eine menschliche Sphäre zu übertragen, von Mystik und Theologie in die Anthropologie." (Schulte 2014, S. 447) Gewiss muss man dazu nicht unbedingt auf die Denkfigur des Zimzum zurückgreifen, die streng gedacht dazu ohnedies nicht taugt, da Gott bei Luria sich keineswegs aus der Schöpfung zurückzieht, sondern gerade durch seine Kontraktion den Raum schafft, in welchem er dann emanierend die Schöpfung initiiert. Einer Schöpfung, die in der Darstellung Gerold Neckers schon im Ejn Sof angelegt gewesen sei (s. Necker 2008, S. 80ff). Und im Übrigen könnte eine derartige "imitatio Dei" im Kontext innerweltlichen Gewinns (mehr Kreativität, besseres Management etwa - vgl. Schulz 2014, S. 447f) auch den Verdacht der Hybris wecken. Eine bescheidenere Referenz für die Tugend der Selbstrücknahme findet sich etwa bei Ursula Kroeber Le Guin, in ihrem Essay "A Non-Euclidean View of California as a Cold Place to Be" von 1982/83. Sie zitiert dort gleich zu Beginn eine Redensart der nordamerikanischen Cree, "Usà puyew usu wapiw", die übersetzt bedeutet "He goes backward, looks foreward". Was sie dazu ausführt, ist die Aufforderung zu einer innerweltlichen Achtsamkeit gegenüber Mitmenschen und Naturzusammenhang. Der wohl bekannteste Künstler, der sich auf die Vorstellung des Zimzum beruft, ist Anselm Kiefer mit seinem 1990 geschaffenen Werk ZimZum und einigen weiteren Werken, die einen kabbalistischen Bezug haben. Barnett Newman konzipierte 1969 zwei betretbare Stahlskulpturen mit dem Titel Zim Zum. Eine davon, die monumentale Nummer II, wurde erst 1985 realisiert und steht in Düsseldorf, im Park der Kunstsammlung NRW. Die Attraktivität des Konzeptes ist weiterhin ungebrochen, wobei der inhaltliche Bezug oft diffus bleibt. 2020 kündigten die religiösen Vereinigungen Gebetshaus Augsburg, Shine (Campus für Christus), Holy Spirit Night, ICF (International Christian Followship) und CVJM das ZimZum Festival für Jugendliche an, im Zeichen "charismatischer Erneuerung", zunächst für 2021, dann verschoben auf 2022 und schließlich auf 2025, wo es dann Anfang Januar in Augsburg stattfand. Im Kontext aktueller kosmologischer Erkenntnisse könnte die Zimzum-Idee als heuristisches Werkzeug beigezogen werden, thematisiert sie doch die Frage, was vor der Schöpfung "unserer" Welt denn gewesen sei. Mit dem Big Bang, wie das von zahlreichen Stars des Film- und Musikbetriebs sehr geschätzte Kabbalah Centre in Kalifornien nahelegt, hat das Zimzum Lurias nichts zu schaffen. Setzt es doch weit vor der Welt des Assija an, der die Urknall-Konzeption inhaltlich zugehört. Lektüreempfehlungen: Erich Bischoff, Die Kabbalah. Einführung in die jüdische Mystik und Geheimwissenschaft, Leipzig: Grieben, 1917 (2., erheblich erweiterte Auflage, zuerst 1903) Gerold Necker, Einführung in die lurianische Kabbala, Ffm/Leipzig: Verlag der Weltreligionen, 2008 Christoph Schulte, Zimzum. Gott und Weltursprung, Tübingen: Mohr Siebeck, 2014 Abbildung: Anselm Kiefer, Zimzum, 1990 |
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Deus Sive Natura - Baruch Spinoza![]() Dass bei Spinoza in der Tat eine Gleichsetzung von Gott und Natur gemeint ist, zeigt die häufig zitierte Passage in seiner posthum erschienenen "Ethik", mit den Verbformen im Singular: "Ratio igitur, seu causa, cur Deus, seu Natura agit, & cur existit, una, eademque est." (Ethik, Teil IV, Vorwort, Reclam-Ausgabe 1977, S. 438 - "Also ist der Grund oder die Ursache, warum Gott, d.h. die Natur, handelt und warum er existiert, ein und dieselbe."). Die damit formulierte pantheistisch-naturalistische Position bedeutet allerdings noch keine klare Absage an eine besondere Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Der Mensch könnte ja in Analogie zur Schöpfungskraft der Natur/Gottes tätig werden. Immerhin erwartet Spinoza vom Menschen, dass er die Einheit seines Geistes mit der Natur begreife ("Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes" - Einleitung, Absatz 13) - und damit zum Glück gelange. Der Ausgangspunkt der Philosophie Spinozas war eine durchaus der Buddhas vergleichbare Bemühung um eine Auffassung von Gott und der Welt, die unabhängig von zufälligen Lebensumständen und Stimmungen Glück sichere. Spinoza unterscheidet an der Natur - und damit an Gott - im Anschluss an die scholastische Tradition im ersten Teil der "Ethica" die "natura naturans" von der "natura naturata". Die auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung finden wir in den Aristoteles-Übersetzungen und Kommentaren von Averroës und Michael Scottus im 12. Jahrhundert. Die "natura naturans" wurde in der Scholastik verstanden als Schöpfergott und scharf getrennt von der "natura naturata", der Schöpfung mit den Geschöpfen. Spinoza hebt diese Unterscheidung nun auf, beide zusammen machen bei ihm Gott/die Natur aus. Damit schafft er ein System, innerhalb dessen alles Seiende Gott ist und damit vollkommen. Realität und Vollkommenheit sind für Spinoza ein und das selbe, "per realitatem, & perfectionem idem intelligo" (Ethica Pars II, Definitiones VI). Alle menschlichen Fähigkeiten sind nichts weiter als Teil der "natura naturata", explizit gilt dies auch für den "intellectum" (Ethica Pars I, Propositio XXXI). Und diese gewordene Natur ist "in Gott" - wie er unter anderem ausführt in seiner "Kurzen Abhandlung", Erster Teil, Zweites Kapitel. Der Theologe Klaus Müller vertritt - unter anderem in "Streit um Gott" 2006 - die Auffassung, Spinoza habe wesentlich dazu beigetragen, die "All-Einheitsintuition" in das Christentum zu integrieren (Müller 2006, S. 15, 89ff und passim). Spinoza schneidet radikal alle Versuche ab, ein Gottesbild zu formulieren, das religiöse Dogmatik, Kultus und Sakramente begründet. Sein Gott, seine Natur ist wesentlich durch zwei Attribute, und nur durch diese, nämlich Denken und Ausdehnung gekennzeichnet. Da ist kein Platz für Gebote oder Strafen, aber auch nicht für Gnadenakte. Bis hin zur Aussage, "Daher kann man nicht sagen, Gott liebe die Menschen" - "Kurze Abhandlung", Zweiter Teil, Vierundzwanzigstes Kapitel, Abschnitt 2. Dies hat ihm immer wieder den Vorwurf des Atheismus eingebracht. Doch Gott wird von ihm bezeugt als Ziel der "amor Dei", die den Menschen auszeichne. Dargestellt wird diese Liebe in der "Kurzen Abhandlung", Zweiter Teil, Zweiundzwanzigstes Kapitel, als eine Liebe aus umfassender Erkenntnis in das Wesen Gottes, der uns und die Welt begründet und ausmacht. Für Ernst Bloch manifestiert sich darin ein Umschlag in Mystik bei Spinoza. Nimmt man Theismus als Lehre von der Existenz eines persönlichen Gottes, gilt der Vorwurf des Atheismus Bloch zufolge gleichwohl bezogen auf das System Spinozas. Ein gängiges positives Urteil zu Spinoza besagt, dass er ein Beweis dafür sei, dass ein Mensch auch ohne Glaube an Gott ein zutiefst ethisches Leben führen könne. Doch Spinoza war gläubig, er glaubte an einen Sinnzusammenhang von allem, von Allem im umfassendsten Sinne verstanden, garantiert durch die erkennbare Einheit von Gott und Natur. Seine Ethik entspricht ganz und gar seinem Gottesbild, es gibt in dieser Ethik keine Gebote und Verbote, keine Strafen und keine Belohnungen. Spinoza benötigt keine Teufel und Dämonen, "um die Ursachen von Haß, Neid, Zorn und dergleichen Leidenschaften zu finden, weil wir diese Ursachen ohne derartige Fiktionen genugsam gefunden haben" - "Kurze Abhandlung", Zweiter Teil, Fünfundzwanzigstes Kapitel, Abschnitt 4. Die Ursachen dieser Leidenschaften sind für Spinoza falsche Meinungen, Irrtümer, verfehlte Lernprozesse. Spinoza hat mit Scharfsinn bereits moderne psychologische, psychosoziale und psychophysiologische Konzepte wie soziales Lernen, Modelllernen, Kondiditionierung, Traumatisierung oder Belohnungssystem (innerpsychisch wohlgemerkt, nicht als Lohn durch Gott) vorgedacht zur Begründung und Therapie schädlicher "Leidenschaften". Im Kapitel "Von der wahren Freiheit" in der "Kurzen Abhandlung" erklärt Spinoza, dass wir Leidenschaften nicht "bezwingen" können, sondern nur aufheben in der Freiheit unserer Gotteserkenntnis. Konkret hat er dies ausgeführt in einem vorangegangenen Kapitel, "Von unsrer Glückseligkeit". Dort fordert er explizite eine Versöhnung mit unserer Körperlichkeit, denn "die Ursache der Liebe, des Hasses und der Trauer (dürfen) nicht im Körper gesucht werden". Vielmehr müsse "die Seele" aufgeklärt werden, um schädliche Leidenschaften zu überwinden. Allerdings erklärt er an anderer Stelle auch,"daß man sich um diesen Körper nicht kümmern solle" (Spinoza 1991, S. 103). Einen Lobpreis der Leiblichkeit dürfen wir also bei Spinoza nicht erwarten. Gut und schlecht sind für Spinoza nur "Modi des Denkens". Sobald wir dies aufgeklärt haben, ist der Weg frei, die als "schlecht" eingeschätzten Verhaltensweisen auf ihre Begründung hin zu befragen und durch Aufklärung und korrigierende Intervention ein für das eigene Glück und das gesellschaftliche Ganze (zu diesem siehe Ethika Zweiter Teil, Lehrsatz 49, Anmerkung Ende) adäquateres Verhalten zu motivieren. Gott hat als moralische Instanz hier keinen Platz mehr, das macht Spinoza in seiner Ethik ganz deutlich, wo er im Anhang zum Ersten Teil, "De DEO", die Vorstellung von hilfreichen und strafenden, zweckhaft handelnden Göttern als Aberglaube darstellt, der auf Unwissenheit basiere. Wissen aber ist das, was er "Ordine Geometrico" vermitteln möchte. "Es ist die Seele kein Fremdes auf Erden", so lautet die Botschaft dieses unbeirrbaren Geistes, unbeirrbar behauptet gegen alles Bestreben, auf der Grundlage von Religion das Leben auf Erden zum Jammertal zu machen - wie er immer wieder auch persönlich erfahren musste. Quelle: Baruch de Spinoza, Kurze Abhandlung von Gott, dem Menschen und dessen Glück. Auf Grundlage der Übersetzung von Carl Gebhardt neu herausgegeben von Wolfgang Bartuschat, Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1991 Lektüreempfehlungen: Heinrich Scholz (Hrsg,), Die Hauptschriften zum Pantheismusstreit zwischen Jacobi und Mendelssohn, Berlin: Reuther & Reichard, 1916 Arno Münster (Hrsg.), Ernst Bloch und Spinoza. Erläuterungen zu den Leipziger Vorlesungen, Mössingen-Talheim: Talheimer Verlag, 2021 Abbildung: Franz Wulfhagen, Portrait Spinozas, 1664 |
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Friedrich Nietzsche: Gott ist tot!
Historisch am ältesten ist die Auffassung vom konkreten Tod eines konkret gedachten Gottes. Sie begegnet in der Kulturgeschichte nach Philipp David in drei heuristisch idealisierten, miteinander verschränkten Varianten: Als Tod und Wiederauferstehung eines dem Jahreskreislauf verbundenen Gottes; als Tod eines jüngeren (männlichen) Gottes, der von einer älteren (weiblichen) Gottheit betrauert wird - etwa in der Paarung Inanna/Ischtar und Dumuzi/Tammuz (s. David 2023, S. 150); als Tod eines partikularen Gottes, der das Leben anderer Götter oder eines anderen Gottes ermöglicht. Nachfolgend geht es um die historisch jüngste Auffassung vom Ende des Glaubens an einen Gott. Bei Nietzsche finden wir die Überzeugung vom "Tod Gottes" als Zeitdiagnose, "daß der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig geworden ist". So nüchtern expliziert er im "Fünften Buch" von "Die Fröhliche Wissenschaft", was hinter seinem meist mit Verweis auf den "tollen Menschen" zitierten Diktum vom Tod Gottes steht. An anderer Stelle finden wir bei ihm die Feststellungen "tot sind alle Götter" und "alle Götter sind Dichter-Gleichnis, Dichter-Erschleichnis" (Kapitel "Von den Dichtern" in "Also sprach Zarathustra"). Lange vor Nietzsche war es ein Grundanliegen der Aufklärung, den Glauben an einen kirchlich vertretenen Gott zu ersetzen durch den Glauben an die Vernunft. Eine Schlüsselfigur im deutschsprachigen Raum ist Gotthold Ephraim Lessing, der Aufsehen machte durch die von Friedrich Heinrich Jacobi weitergetragene (nach mancher Auffassung: gefäschte) Äußerung von 1780 "Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen. Ἓν καὶ Πᾶν! Ich weiß nichts anders." Das war ein Jahr nach der Veröffentlichung von "Nathan der Weise" - einem Werk, das signalisiert, wie im intellektuellen Protestantismus zugleich gerungen wurde um eine Neuformulierung des Gottesbildes im Sinne einer auch die Vernunft noch bindenden Religiosität. Das ist jedoch nicht mehr Anliegen Nietzsches. Trotz seines erklärten Unbehagens angesichts der "Verdüsterung" eines Europas, das sich über Jahrhunderte gesichert sah im christlichen Glauben, versteht er, in beschwörendem Ton vorgetragen, seine Botschaft als Befreiung, "wie eine neue schwer zu beschreibende Art von Licht, Glück, Erleichterung, Erheiterung, Ermutigung, Morgenröte". Und er präzisiert: "In der Tat, wir Philosophen und 'freien Geister' fühlen uns bei der Nachricht, daß der 'alte Gott tot' ist, wie von einer neuen Morgenröte angestrahlt" - SA 2, S. 206. Dieses Motiv von Befreiung findet sich im 20. Jahrhundert dann in vielfältiger Weise wieder, in einem weiten Spektrum, das vom Existentialismus Sartres und der Metaphysikkritik Heideggers über Bertrand Russells "Warum ich kein Christ bin" bis zu Tilmann Mosers psychoanalytisch grundierter "Gottesvergiftung" reicht. Auch die paradox anmutende Position Dietrich Bonhoeffers, die sich artikuliert in der Formulierung "vor Gott und mit Gott leben wir ohne Gott", kündet von der Befreiung von einem Orientierung verheißenden Gottesbild und der entschiedenen Zuwendung zur Innerweltlichkeit menschlicher Gemeinschaft. Eine besondere Konsequenz ist die vor allem in Großbritannien geführte Debatte um eine posttheistische Theologie in den 1960er Jahren, in Deutschland aufgegriffen etwa durch den Historiker Thomas Großbölting, seit 2022 Direktor der "Akademie der Weltreligionen" an der Universität Hamburg. Auch der evangelische Theologe Eberhard Jüngel hatte sich zeitlebens der theismuskritischen, von Gott als Ordnungsprinzip von Welt und Geschichte absehenden Begründung von Theologie gewidmet. Ihm zufolge habe "Bonhoeffer für die Heimkehr der Rede vom Tode Gottes in die Theologie den Boden bereitet" (Jüngel 1977, S. 73). Doch zurück zu Nietzsche. Für den Gießener Theologen Philipp David ist er der "Denker des Übergangs" zwischen der Geborgenheit in Gott aber auch der Großmächtigkeit des Menschen in der Gottesebenbildlichkeit und einer Zukunft als "Übermensch" radikaler Selbstverfügung. David sieht in ihm den Analytiker einer katastrophalen Zeit des "Nihilismus" - den Nietzsche keineswegs propagiert, sondern lediglich diagnostiziert habe. Was bereits Camus anmerkte (s. David 2023. S. 303). In der Parabel "Der tolle Mensch" ("Die fröhliche Wissenschaft", Drittes Buch) wird der Tod Gottes zu einer Ungeheuerlichkeit: "Wir haben ihn getötet - ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder!" (SA 2, S. 127). Es fällt schwer, darin nichts weiter als einen pathetisch überhöhten Ausweis des Nihilismus zu sehen. Wie auch in der oben zitierten Passage aus dem Fünften Buch von "Die Fröhliche Wissenschaft" wird hier Anklage geführt, ein Missstand benannt, nicht nur eine Befreiung gefeiert. Und wo Befreiung anklingt, geht es einzig um die Lösung vom "christlichen Gott", vom "alten Gott" - explizit gemacht auch im Kapitel "Außer Dienst" im "Vierten und letzten Teil" von "Also sprach Zarathustra". Eberhard Jüngel unterscheidet an der Rede vom Tod Gottes eine theologische, festgemacht an Dietrich Bonhoeffer, und eine atheistische, festgemacht an Friedrich Nietzsche. Aus christlicher Sicht mag er damit richtig liegen - auch wenn wir zur Kenntnis nehmen sollten, dass auch Franz Overbeck, liberaler Theologe und Wegbegleiter des "Nihilisten" Nietzsche, ganz ähnliche Gedanken wie sein Freund entwickelte, aber statt vom "Tod Gottes" zu sprechen das "Finis Christianismi" thematisierte. Orientieren wir uns allerdings am Gottesbegriff einer Abwesenheit, wie er sich im Zimzum-Konzept der Kabbala artikuliert, rücken Bonhoeffer und Nietzsche näher zusammen, als die klare Unterscheidung in eine nihilistische und eine theologische Rede vom Tod Gottes nahelegt. Festzuhalten bleibt allerdings, dass Nietzsche nicht die Möglichkeit sah, den christlichen Gott aus der Sterblichkeit Christi neu zu denken, wie dies Hegel unternahm, den Jüngel als entscheidenden Denker einer Theologie nach dem Tod Gottes im Denken der Aufklärung ansieht. Für Jüngel habe "Hegel den Tod Jesu Christi ausdrücklich als Sterben des Göttlichen aufgefasst wissen wollen" (Jüngel 1977, S. 102). Er kann sich dafür auf Hegels Schrift "Glauben und Wissen" beziehen - und auf das Kapitel "Die offenbare Religion" in der "Phänomenologie des Geistes" mit jenem in der Hegel-Rezeption wenig gewürdigten Denksatz zum "unglücklichen Bewußtsein", "es ist der Schmerz, der sich als das harte Wort ausspricht, daß Gott gestorben ist". Nietzsches Aversion gegen Hegel ist bekannt. Er warf ihm den Versuch vor, den Glauben zu beweisen und dabei die "Unterwerfung des Philosophen unter die Wirklichkeit" zu rechtfertigen (SA 3, S. 447). Lektüreempfehlungen: Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, hrsg. von Karl Schlechta (Schlechta-Ausgabe/SA), München: Hanser, 1965/66 Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen: Mohr, 1977 Philipp David, Der Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne, Tübingen: Mohr Siebeck, 2023 |
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Der
persönliche Gott bei Edith Stein - Das unwiederholbare
Gottessiegel
Edith Stein wurde am 12. Oktober 1891 in Breslau geboren und
am 09. August 1942 in Auschwitz-Birkenau ermordet. Kurz nach der Freigabe des Hochschulstudiums für Frauen in Preußen 1908 schrieb Edith Stein sich 1911 in Breslau für Philosophie, Psychologie, Geschichte und Germanistik ein. Nach der Lektüre von Edmund Husserls „Logische Untersuchungen“ wechselte sie 1913 zur Philosophie bei Husserl in Göttingen, wo sie bald bei ihm mit einer Promotion über den Begriff der Einfühlung begann. Als Husserl im April 1916 einem Ruf nach Freiburg folgte, schickte sie ihm das dreibändige Manuskript ihrer Arbeit nach. Auf Husserls positive Reaktion bot sie ihm an, als seine private Assistentin nach Freiburg zu kommen, was Husserl annahm. Anfang August legte sie in Freiburg bei ihm ihr Rigorosum ab. Neben ihren philosophischen Arbeiten engagierte sie sich schon früh sozial. 1915 hatte sie sich nach dem pädagogischen Staatsexamen zu einem freiwilligen Lazarett-Einsatz in Mährisch-Weißkirchen, an der Karpatenfront, gemeldet. 1918 pflegte sie Husserl während einer schweren Krankheit - nach dem Zeugnis des Husserl-Schülers Fritz Kaufmann. Im gleichen Jahr gibt sie die Assistentenstelle bei Husserl auf, da Husserl ihr die Habilitation verweigerte mit dem Verweis darauf, dass dies für Frauen noch nicht gestattet sei. Zur Enttäuschung durch die Verweigerung einer Laufbahn als Hochschullehrerin trat in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg als Belastung ein Bruch in der Freundschaft mit dem Kommilitonen Roman Ingarden, der nach seiner Promotion 1918 Freiburg verlassen hatte. Stein beschäftigte sich in diesen Jahren intensiv mit dem christlichen Glauben, was Ingarden befremdete. Beeindruckt war sie unter anderem durch ihre ältere Freundin Anna Reinach, die 1916 zusammen mit ihrem Mann Adolf, einem Mentor und Freund Steins, in die evangelische Kirche eingetreten war und nach dem Tod ihres Mannes - als Kriegsfreiwilliger 1917 - in der Religion Zuflucht fand. Kurzzeitig engagierte Stein sich nach dem Kriegsende auch politisch in der linksliberalen DDP (Deutsche Demokratische Partei), zog sich aber rasch aus dem parteipolitischen Geschehen zurück und engagierte sich nun frauenpolitisch als Vortragsrednerin. 1922 konvertierte Stein zum Katholizismus, sah dies allerdings nicht als Bruch mit ihrer jüdischen Prägung an, sondern in Kontinuität, und nahm den Taufnamen „Teresa“ an. Die Autobiographie der Teresa von Avila hatte sie 1921 studiert. Dann arbeitete sie als Lehrerin und Pädagogik-Dozentin in Speyer, in einer Einrichtung der Dominikaner, gerät aber 1933 als „Nicht-Arierin“ in Bedrängnis und kündigt das Anstellungsverhältnis, das ohnedies schon mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten zunehmend in Konflikt geraten war. Im Herbst 1933 trat sie in den Karmel Köln-Lindenthal ein, 1935 wurde sie für ihre Arbeit an "Endliches und ewiges Sein", die sie dann Anfang 1937 abschloss, von klösterlichen Verpflichtungen entbunden. Am Silvesterabend 1938 verließ sie Deutschland und fand Zuflucht im Karmel Echt, wenig entfernt von der deutsch-niederländischen Grenze. Am 7. August 1942 wurde sie zusammen mit ihrer Schwester Rosa vom niederländischen Sammellager Westerbork nach Auschwitz deportiert, wo beide am 9. August getötet wurden. Papst Johannes Paul II. hat sie am 01.05.1987 seliggesprochen und am 11.10.1998 heilig. Er erklärte sie 1999 zusammen mit Katharina von Siena und Birgitta von Schweden zur Patronin Europas, neben bereits zuvor ernannten drei Männern. *
Die wesentliche Schrift Steins zum Verständnis ihrer Gottesauffassung ist "Endliches und ewiges Sein", entstanden im Kölner Karmel, geplant zunächst als Druckvorbereitung ihres ursprünglich zur Habilitation vorgesehen Manuskripts "Potenz und Akt", wozu sie von Theodor Rauch, ihrem Provinzial, beauftragt war. Nach kurzer Zeit entschied sich Stein, nur einen kleinen Teil des Manuskripts zu übernehmen und eine neue Arbeit zu verfassen, die nach weniger als zwei Jahren abgeschlossen war, mit zwei Anhängen, zu Martin Heidegger und zu Teresa von Avila. Im Vorwort zu diesem Werk, das in der Stein-Forschung als ihr "Opus magnum" gilt, schreibt sie "Dieses Buch ist von einer Lernenden für Mitlernende geschrieben." In Kapitel VII, "Das Abbild der Dreifaltigkeit in der Schöpfung", zeigt Edith Stein den Weg von der Suche nach dem Sinn des Seins zum "Urheber" allen endlichen Seins, zum dreifaltigen Gott. Diese Dreifaltigkeit nun sei auch in der Schöpfung als dem "Abbild der Drei-Einheit" zu finden. Stein führt zunächst aus, dass die Dreifaltigkeit als "dreipersönliches Sein" zu verstehen sei (Stein 2006, S. 303). Das Ganze der Schöpfung ist dann jedoch nicht ihr Thema, es geht nur noch um den Menschen als Schöpfung, den Menschen in seinem "leiblich-seelisch-geistigen" Sein, womit sie die gesuchte Dreiheit in der Schöpfung als "persönlich" identifiziert. Sie ist "zum menschlichen Sein als dem uns vertrautesten zurückgekehrt, an dem uns am ehesten der Sinn des Personseins klar werden kann" (Stein 2006, S. 323). Darüber hinaus kommt sie nur noch zu den rein geistigen Wesen als Teile der Schöpfung, den Engeln, in Paragraph 5, überschrieben mit "Die geschaffenen reinen Geister". Ausgehend von Thomas von Aquin entfaltet sie dort, aus heutiger fachphilosophischer Sicht eher befremdlich, in knappen Zügen die "Möglichkeit einer philosophischen Behandlung der Engellehre" (Stein 2006, S. 323). Dabei geht es ihr um die "Wesenserkenntnis des Geistes" (ebd. S. 327). Engel sind in ihrer Argumentation gleichsam ein missing link vom persönlichen Menschsein zum göttlichen Geist. Paragraph 9 des Kapitels VII gilt dann dem "Gottesbild im Menschen". Das Kapitel beginnt mit der erneuten Bekräftigung der Konzeption eines persönlichen Gottes, seiner "Hineingestaltung in den Raum". Höchste Form dieser Hineingestaltung ist der Mensch, als einziges Geschöpf mit einer Persönlichkeit, die ihn zum "bildenden Geist" macht und damit zum unmittelbaren Abbild Gottes (Stein 2006, S. 360) - auch wenn die Tierseele bereits eine "Vorstufe geistigen Lebens" erreiche. Zum Abschluss des Paragraphen entfaltet sie ihre Überzeugung von der "dreifaltigen Formkraft der Seele" in "Leib-Seele-Geist", die umfassend die Dreifaltigkeit Gottes im Menschen belege (Stein 2006, S. 390). Denn die Seele forme auch den Leib, sei diesem nicht feindlich gegenüber gestellt. Eine Konzeption des persönlichen Gottes, die sie auch sehr prägnant in ihrer Übersetzung der Hauptschriften des Dionysius Aerophagita, "Von den göttlichen Namen" und "Kirchliche Hierarchie", herausarbeitet (vgl. z.B. Band 17 der Gesamtausgabe, Seite 236, Abschnitt VII.3 des Textes "Kirchliche Hierarchie"). Im Kapitel VIII, "Sinn und Begründung des Einzelseins", schreibt sie dann: „Wir glauben jetzt ein wenig besser zu verstehen, daß die Abstammung des Menschen von menschlichen Erzeugern ihn an Leib und Seele zu ihresgleichen macht und daß er sich trotzdem rühmen darf, unmittelbar ein Gotteskind zu sein und ein eigenes unwiederholbares Gottessiegel in seiner Seele zu tragen.“ (Stein 2006, S. 433) Verstehen lässt sich Edith Steins Ansatz auch als ein Versuch, Heideggers Seins-Philosophie gleichsam umzuwenden. Heidegger geht in "Sein und Zeit" bei der Frage nach dem Sinn des Seins vom Seienden des Menschen aus. Stein geht bei der Frage nach dem Sinn menschlicher Existenz vom höchsten Seienden, Gott, aus. Es zeigt sich hier eine gewisse Analogie zu ihrem Umgang mit der Glaubenslehre der Teresa von Avila, "Die Seelenburg" (neu als "Wohnungen der Inneren Burg"). Während Teresa die menschliche Seele als den Ort der Gottesbegegnung ansieht, vom "Abstieg ins Innere" spricht, wählt Stein in "Wege der Gotteserkenntnis" und "Kreuzeswissenschaft", in den Auseinandersetzungen mit Dionysius Areopagita und Johannes vom Kreuz, das Bild vom Aufstieg auf den "Gipfel des Berges". Nach Auffassung ihrer Herausgeberin Beate Beckmann entspricht dieses Bild eher ihrer eigenen Auffassung (ESGA 17, S. 2f). Steins Gottesbild ist essentiell mit ihrem Menschenbild verbunden. Und dies nicht in jenem banalen Sinn, dass Gott nach dem Bild des Menschen und seiner Bedürfnisse gestaltet sei. Ihr Gott ist Person, ist in einem schwer zu fassenden Sinne einzeln, ist Gegenüber, ist Partner - und dies in jedem Menschen, der uns begegnet, der ihr, Edith Stein, begegnete. Das ist nicht einfach nur eine Neuauflage des anthropomorphen Gottesbildes. Der persönliche Gott Edith Steins ist zwar ansprechbar, aber keineswegs der nette alte Herr mit Bart, sondern eine philosophisch aufgeklärte Vorstellung, die in den Grundzügen dem Gott Descartes in den "Meditationen" (Dritte Meditation) entspricht, wonach "die Vorstellung Gottes der des Ich vorausgeht". Das "Ich bin" ist damit gleichbedeutend mit "Gott ist", der Gottesbeweis Edith Steins lautet: Ich bin, also ist Gott. Quelle: Edith Stein, Endliches und ewiges Sein, Edith Stein Gesamtausgabe (ESGA) Bd. 11/12, Freiburg 2006 Lektüreempfehlung: Tonke Dennebaum, Freiheit, Glaube, Gemeinschaft. Theologische Leitlinien der Christlichen Philosophie Edith Steins, Freiburg 2018 |
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Die Namen Gottes
Der Physiker, Mathematiker und Astronom Arthur C. Clarke
(1917-2008) las während seiner Kindheit auf einem englischen
Bauernhof leidenschaftlich gerne amerikanische Science
Fiction Literatur, wofür er sein ganzes Taschengeld opferte.
Früh begann er mit dem Schreiben eigener SF-Erzählungen.
Seine ersten professionellen Veröffentlichungen erschienen
in „Astounding“ im Jahr 1946, so vor allem eine seiner
erfolgreichsten Geschichten, „Rescue Party“. 1948
veröffentlichte er seine - indirekt - bekannteste
Geschichte, „The Sentinel“, auf der Stanley Kubricks Film
„2001. Odyssee im Weltraum“ beruht. „The Nine Billion Names
of God“ schrieb er im Mai 1952. |
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Der Fall Rautavaara
Noch eine zweite bemerkenswerte Auseinandersetzung mit
Gottesbildern aus der Science Fiction möchte ich vorstellen.
Philip Dick (1928-1982) veröffentlichte 1980 die kurze
Erzählung "Rautavaara's Case". Darin verunglückt ein
kosmischer Reparaturservice von der Erde mit seinem
Raumschiff in einem fernen Sonnensystem. Dabei sterben zwei
Besatzungsmitglieder, das dritte, eine Frau namens Agneta
Rautavaara, überlebt dankt der Intervention einer fremden
Intelligenz, allerdings nur als Gehirn, ihr Körper wird -
aufgelöst in seine Bestandteile - von den Rettern dazu
benutzt, das Gehirn am Leben zu erhalten. Dieser Frau,
diesem Gehirn erscheint dann Christus, der sich zunächst
schon klischeehaft bibelgemäß verhält und auch so spricht.
Die fremde Intelligenz beobachtet dies und beschließt, in
das Gehirn Rautavaaras die eigene Gottesvorstellung
einzuschleußen. Schockiert muss Rautavaara dann mit
anschauen, wie das, was sie für Christus gehalten hatte,
einen der beim Unfall verstorbenen Besatzungskollegen
Rautavaaras aufisst mit den Worten "Er ist mein Leib. (...)
Indem ich seinen Leib esse, erlange ich ewiges Leben. Dies
ist die neue Wahrheit, die ich jetzt verkünde". |
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